Man darf in Deutschland versagen. Man muss sogar versagendürfen. Das ist ein Grundpfeiler einer humanen Gesellschaft: die Chance aufeinen Neuanfang. Wer eine Privatinsolvenz durchlebt hat, weiß, wie lang undsteinig der Weg zurück ist – mit Jahren der Einschränkung, der Demut, der Buße.Wer sich eines schweren Verbrechens schuldig gemacht hat, muss mit Recht Strafeund gesellschaftliche Ächtung erdulden. Und doch: Auch diesen Menschen gestehenwir irgendwann die Möglichkeit zu, sich wieder zu integrieren – nach Maßgabeihrer Reue und Wiedergutmachung.

Gemessen daran wirkt das Comeback von Anne Spiegel wie eineFarce. Keine echte Buße, keine sichtbare Reue, keine ernsthafteAuseinandersetzung mit dem eigenen politischen Versagen. Stattdessen: dasnächste Amt, die nächste Bühne, als wäre nichts gewesen. Das ist nichtWiedereingliederung – das ist politische Vetternwirtschaft auf Kosten derGlaubwürdigkeit.

Spiegel steht exemplarisch für ein System, in demParteizugehörigkeit, Geschlecht oder das richtige Netzwerk mehr zählen alsKompetenz oder Verantwortungsbewusstsein. Ihr Lebenslauf ist kein Beleg fürpolitische Exzellenz, sondern für das Durchreichen in einer Blase, die sichselbst genügt. Wer so wenig geleistet hat und dennoch immer wieder auf Postengehievt wird, verhöhnt all jene, die sich nach einem echten Fehltritt mühsamzurückkämpfen müssen – mit echter Arbeit, echter Reue und echter Demut.

Daran gemessen hat Frau Spiegel viel zu wenig an Reuegezeigt, zu wenig Buße erlebt, zu wenig abgeleistet, als dass man ernsthaft voneiner gelungenen Wiedereingliederung sprechen könnte. Wer sich aus derVerantwortung stiehlt, wer Fehler nicht offen eingesteht, sondern sich durchparteiinterne Deals in neue Ämter retten lässt, hat den moralischen Kreditverspielt. Diese politische Unperson sollte – sinnbildlich gesprochen – ersteinmal ein paar Jahre als Klofrau am Busbahnhof verbringen, bevor man überhauptauf die Idee kommt, sie auch nur in die Nähe einer hochdotierten undverantwortungsvollen Position zu lassen. Nicht aus Rachsucht, sondern ausPrinzip: Wer Verantwortung tragen will, muss sie zuvor verstanden haben.

Wenn wir als Gesellschaft das Prinzip der zweiten Chanceernst nehmen wollen, dann muss es auch Maßstäbe geben. Und diese Maßstäbemüssen für alle gelten – auch für Politikerinnen wie Anne Spiegel. Eine zweiteChance verdient nur, wer die erste ernst genommen hat. Wer versagt hat, mussdas Versagen anerkennen, aufarbeiten und Buße tun. Alles andere ist ein Hohnauf die Idee von Verantwortung.